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Data-Storytelling
Extraktion
Seit Jahrtausenden erzählen sich Menschen Geschichten, um Erfahrungen, Wissen und Informationen zu verbreiten. Geschichten bewegen uns auf einem emotionalen Level. Sie bleiben aber auch im Gedächtnis haften.
Damit bringt Storytelling eigentlich alle Voraussetzungen mit als ein gewinnbringendes Tool für die Wissenschaftskommunikation genutzt zu werden. Autor:innen und besonders Drehbuchschreibende schrecken nicht vor komplexen Themen und Geschichten zurück. Filme und Bücher wie Herr der Ringe oder Star Treck weisen eine sehr hohe Komplexität auf. Es werden unterschiedliche Lebensformen erfunden, die auch eigene Sprachen sprechen. Noch heute begeistern Star Treck Serien und Filme Menschen so sehr, dass sie Klingonisch lernen oder die Technologie der verschiedenen Raumschiffe erforschen. Diese Begeisterung wollen wir in der Wissenschaftskommunikation doch eigentlich auch für unsere Forschungsthemen erzeugen, oder?
In diesem Beitrag soll Storytelling in der der Wissenschaftskommunikation auf ein sehr spezielles Thema angewendet werden: die Präsentation von quantitativen Daten.
Data Storytelling: Definition und Erfolgsfaktoren
Im Data Storytelling geht es darum, komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse in verständliche Visualisierungen mit klaren Botschaften zu kommunizieren. Dabei wird die analytische Kraft von Daten und die emotionale Kraft des Storytellings gezielt kombiniert. So werden wissenschaftliche Ergebnisse nicht nur für Fachleute, sondern auch für die Allgemeinheit verständlich, was das Vestehen und die Akzeptanz von Forschungsergebnissen verbessern kann.
“There is a story in your data. But your tools don’t know what that story is. That’s where it takes you — the analyst or communicator of the information — to bring that story visually and contextually to life.” (Nussbaumer Knaflic, 2015)
Mit Data Storytelling verwandeln wir trockene Daten in eine spannende Geschichte. Sie visualisieren Informationen, stellen sie in einen Kontext und machen sie damit sozusagen lebendig. Ein fiktives Beispiel: Nehmen wir an, die Stadt Datenhausen leidet unter einer überproportional hohen Kriminalitätsrate. Eine detaillierte Analyse der Polizeidaten zeigt, dass dieses Problem vor allem in einigen Vierteln der Stadt auftritt. Ein Data Storytelling-Visualisierungsprojekt erstellt eine interaktive Karte, die die Polizeidaten mit lokalen Faktoren wie dem Einkommen, der Bildungsrate und anderen sozioökonomischen Variablen in Verbindung bringt. So sieht man sehr gut, dass die höchsten Kriminalitätsraten vor allem in zwei Vierteln der Stadt auftreten. Die Visualisierung macht die trockenen Polizeistatistiken anschaulich und ermöglicht eine breitere Diskussion über die Ursachen des Problems und mögliche Gegenmaßnahmen. Im Idealfall tragen diese Erkenntnisse dazu bei, die Kriminalitätsrate in ganz Datenhausen zu senken.
Die Visualisierung der Daten liefert einen gemeinsamen Orientierungs- oder Bezugspunkt für Beteiligte einer Kommunikation oder Diskussion. Diese gemeinsame Orientierung erleichtert die Kommunikation und die gezielte Diskussion eines gewählten Themas – einer Storyline. Durch die Einbettung der Daten in einen Kontext, der für die Beteiligten nachvollziehbar ist, fokussiert die Kommunikation nur wesentliche Punkte. Die Herausforderung im Daten-Storytelling ist dann, wissenschaftlich korrekt und zugleich kommunikativ strategisch die wesentlichen Punkte zu evaluieren und hervorzuheben.
Die acht wichtigsten Erfolgsfaktoren
Um Data Storytelling erfolgreich anzuwenden, sollte man sich an diese acht Grundbedingungen orientieren:
1. Die Visualisierung transformiert stets komplexe in einfache, leicht verständliche Informationen. Die dargestellten Daten helfen besonders beim Erkennen wichtiger Muster und Trends. Komplexität oder ergänzende Inhalte sollte über die Tonspur oder den beigefügten Text ergänzt werden.
2. Die Kernidee steht immer im Fokus. Nur so kann sie der Zuhörer oder die Leserin erkennen, verstehen, sich daran erinnern und seine eigenen Schlüsse ziehen.
3. Eine erfolgreiche Data Storytelling-Präsentation liefert zudem stets eindeutige Botschaften, die zum Handeln auffordern. Nur so hat sie Einfluss auf das Verhalten und die Entscheidungen des Publikums.
4. Die Wahl der korrekten Daten für das Data Storytelling ist besonders wichtig. Diese müssen verlässlich, repräsentativ und relevant sein. Das sind die Grundbedingungen dafür, dass die erzählte Geschichte glaubwürdig und aussagekräftig ist.
5. Komplexität ist Gift für erfolgreiches Data Storytelling. Die erzählte Geschichte muss klar und leicht verständlich sein.
6. Gute Datengeschichte passen sich an das Publikum an! Versucht man, seine Daten an eine Gruppe zu vermitteln, die nicht über das nötige Hintergrundwissen verfügt, kann die Botschaft leicht verloren gehen.
7. Eine Story wirkt nur dann, wenn sie richtig erzählt wird und den Zuschauern wirklich etwas mitteilt. Eine gute Geschichte sollte zudem eine emotionale Bindung zum Publikum herstellen und es dazu bewegen, mehr über das Thema erfahren zu wollen.
8. Gute Data Storys entstehen oft im Teamwork, wenn alle Beteiligten des Projekts ihre Ideen und Erfahrungen einbringen. So entwickeln sich starke Geschichten, die alle Interessen berücksichtigen und die eine klare, einheitliche Botschaft vermitteln.
Data Storytelling in vier Schritten
Kurz erklärt: Die Verwandlung von Daten in eine Geschichte durchläuft mehrere Phasen oder Schritte, die hier nur kurz benannt und später vertiefend erläutert werden.
1. Identifizieren Sie Ihre Zielgruppe und finden Sie heraus, für wen Sie schreiben oder vor wem Sie präsentieren! Das bestimmt die Art und Weise, wie Sie Ihre Geschichte aufbauen und präsentieren. Wissenschaftler:innen muss man die eigenen Forschungsergebnisse wahrscheinlich anders erläutern als Unternehmer:innen und Stakeholder.
2. Definieren Sie ein klares Ziel! Was möchten Sie mit Ihrer Geschichte erreichen? Wollen Sie das Publikum überzeugen? Eine Verhaltensänderung hervorrufen? Oder nur informieren?
3. Finden Sie die richtigen Daten, die Ihnen dabei helfen, Ihre Geschichte oder Botschaft zu erzählen!
4. Strukturieren Sie Ihre Daten in Tabellen, Diagrammen und Bildern! Visuelle Elemente verleihen Ihrer Geschichte mehr Aufmerksamkeit.
Gute Geschichten vs. trockenen Daten
Sehen wir uns nun die Eigenschaften, die eine gute Story ausmachen, im Detail an. Was muss eine Erzählung mitbringen, damit sie als kraftvoll, einprägsam und fesselnd empfunden wird? Eine gute Geschichte hat eine starke emotionale Kraft, die die Leser:innen anzieht und zur Veränderung inspiriert. Das erreicht man mit eindrucksvollen Bildern, eindringlichen Aussagen und bewegenden Erfahrungen. Eine kraftvolle Story erzeugt echte emotionale Reaktionen. Einprägsame Geschichten bleiben im Gedächtnis des Publikums hängen, halten es mit überraschenden Wendungen gefangen und lassen einen nicht los, bis man das Ende erfahren hat.
Auch Humor ist gefragt, zumal bei langen Präsentationen, um den Zuhörern eine kleine Pause und Momente der Entspannung zu gönnen. Ein gutes Werkzeug ist zudem die Integration eines persönlichen Erlebnisses des Autors oder eines Ereignisses aus dem Leben eines Freundes oder eines Familienmitglieds. Das versetzt das Publikum in die Lage, sich besser mit den Charakteren und Ereignissen zu identifizieren. Auch Gefühl darf sein, um dieses Ziel zu erreichen.
Emotionen statt Langeweile
Sie sehen schon: Eine gute Geschichte hat viele „Zutaten“. Werfen wir nun einen Blick auf jene Faktoren, die eine Story zum Gähnen langweilig machen. Eine Geschichte wird dann trocken, wenn sie Fakten und Informationen ohne eine emotionale oder vertraute Komponente erzählt. Es fehlt an Humor, Verbindungen und Einblicke in menschliche Erfahrungen oder Vorstellung. Schwache Storys sind stark auf Daten und Fakten basiert und haben oft eine mangelnde Handlung oder eine unzureichende Struktur. Es fehlt an konkreten Orientierungspunkten.
Schwer verständliche Begriffe verhindern Verständnis. Verwirrung und gutes Storytelling passen nicht zusammen. Eine mangelnde Logik etwa oder eine unklar strukturierte Handlung machen es schwierig, einen roten Faden zu finden, der das Ganze zusammenhält. Gibt es kein Gefühl der Verbindung oder des Mitgefühls und mangelt es an Farbe und Tiefe, kann eine Story unangenehm streberhaft wirken. Ohne eine persönliche Note fehlen individuelle Erfahrungen, die zu einem besseren Verständnis der Geschichte beitragen können. Schlechten Geschichten lassen vor allem eine klare Vision oder Absicht vermissen.
So wird Ihre Geschichte spannend!
Eine gute Geschichte macht komplexe Sachverhalte verständlich und löst beim Zuhörer Gefühle aus. Damit das funktioniert, muss eine Story spannend sein. Diese Spannung erzeugt man, indem man einem festgelegten Schema folgt: Wir beginnen mit der Ausgangssituation, gehen dann weiter zum zentralen Problem bzw. Konflikt, erreichen den (überraschenden) Wendepunkt und schließen mit einer konkreten Handlungsempfehlung.
Sehen wir uns nun diesen Verlauf anhand eines weiteren fiktiven Beispiels an:
Ein Unternehmen für Gesundheitsprodukte leidet in einem bestimmten Produktsegment unter Absatzschwierigkeiten. Die Datenanalysten nehmen daher die Umsatzentwicklung dieses Artikels genau unter die Lupe. Die Zahlen belegen, dass der Absatz in den letzten Monaten stark zurückgegangen ist und weisen zugleich auf eine überraschende Wendung hin: Diese Entwicklung zeigt sich nicht am gesamten Markt! An bestimmten Standorten war der Absatz sogar gestiegen. Ein Blick auf die Daten der in diesem Bereich durchgeführten Marketingmaßnahmen offenbart, dass an diesen Standorten ein ganz bestimmter Kampagnentyp lief, der andernorts nicht genutzt wurde. Dieser schien das Produkt bei bestimmten Kunden besonders attraktiv zu machen. Aufgrund dieser Erkenntnisse empfiehlt der vortragende Experte, diesen Kampagnentyp flächendeckend bei der Vermarktung des Produkts zu nutzen.
Spannungsmomente ersetzen nackte Zahlen
Dieses Beispiel weist darauf hin, wie wichtig Spannungsmomente sind. Die Story zeigt ein Problem auf (Absatzrückgänge) und deutet gleichzeitig an, dass es dafür eine unerwartete Lösung gibt. Das erzeugt Neugierde und Interesse, was sich etwa mit folgender Wendung erreichen lässt: „Die Bedingungen am Markt für Produkt X sind generell schwierig, wie wir gehört haben. Doch das gilt nicht für alle Standorte gleichermaßen. Schauen wir uns jetzt an, warum es in zwei Bundesländern ganz anders aussieht als am gesamten deutschen Markt.“
Storytelling-Profis sind wahre Könner in der Wahl ihrer erzählerischen Mittel und im Aufbau von mehrschichtigen Konfliktebenen. Doch auch weniger versierte Erzähler können ihr Publikum in den Bann ziehen. Alles, was überraschend, neu und unerwartet ist, verwandelt trockene Präsentationen in Storys, die in Erinnerung bleiben.
Daten, Ziele und Kernbotschaften
Wenn wir Rohdaten auswerten, tun wir dies in der Wissenschaft zunächst hinsichtlich bestimmter Hypothesen und Fragesellungen. Daten können viele unterschiedliche Botschaften vermitteln, je nachdem wie und aus welcher Perspektive sie ausgewertet werden. Die Auswertung und Analyse von Daten sollten nicht hinsichtlich einer bereits festgelegten Botschaft erfolgen. Hier gilt es wissenschaftliche Standards einzuhalten. Allerdings stellt sich nach der Analyse immer die Frage der Ergebnispräsentation, z.B. in der schriftlichen Arbeit oder einem mündlichen Vortrag.
In unterschiedlichen Situationen haben wir unterschiedliche Ziele, wenn wir kommunizieren und unsere Daten präsentieren. Manchmal wollen wir nur Informationen weitergeben, wie z.B. in der Lehre. Manchmal wollen wir aber unser Publikum auch überzeugen oder zu einem Umdenken bewegen. Das ist besonders in der Klima-Forschung häufig so, dass direkte Handlungsempfehlungen und Aufforderungen kommuniziert werden. Ein Fachpublikum ist dann vielleicht wieder von bestimmten Schlussfolgerungen und Perspektiven zu überzeugen. Damit verbunden sind dann unterschiedliche Kommunikationsziele, Strategien und Botschaften.
Im Data Storytelling geht es explizit darum, die Visualisierung von Daten mit einer bestimmten Botschaft zu verknüpfen. In diesem Sinne stellen die Daten immer die Lösung eines Problems oder die Antwort auf eine Frage da. Diese Tatsache machen wir uns hier zunutze, da Storytelling genau von diesem Zusammenhang lebt: Es entsteht ein Problem oder eine Herausforderung, die im Normalfall ein:e Protagonist:in überwunden oder lösen wird. Es gilt eine Antwort oder Lösung zu finden. Genau dies macht den Spannungsbogen einer Geschichte aus.
Daten als Lösung
Am Ende des Spannungsbogens stehen eine entscheidende Erkenntnis und konkrete Handlungsvorschläge. Dieser Teil ist besonders wichtig. Denn hier folgt wie bei einer Fabel schließlich das Ergebnis oder die Lösung. Generell gilt: Unglaubwürdigkeit, Vorhersehbarkeit, zu viele Klischees oder zu wenig Spannung machen eine Geschichte zu einer schlechten Geschichte. Das betrifft gleichermaßen das Data Storytelling, auch wenn hier der Fokus auf wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen liegt.
Die Storyline als Struktur
Erfolgreiche Geschichten – egal ob Filme oder Bücher – folgen einer sehr ähnlichen Struktur und Aufbau. Charaktertypen ähneln sich und auch der Aufbau ist stets fast identisch. In erfolgreichen Filmen sind stets die gleichen Abfolgen von Ereignissen zu finden, auch wenn die Themen und Settings sehr unterschiedlich sein können. Dazu hat Joseph Campell geforscht und ein Grundlagenwerk verfasst, mit dem heute Drehbuchautoren ausgebildet werden (Campell, 2011). Wie ähnlich sich einige Geschichten sind, fasst ein Stand-Up Comedian bei einem Auftritt sehr treffend zusammen (Humor U Official, 27.09.2012). Er vergleicht Harry Potter und Star Wars: Es ist der gleiche Aufbau und sogar sehr ähnliche Charaktertypen. Es ist einerseits als Stand Up Nummer witzig. Die wahre Pointe ist, dass Josephe Campell selbst zusammen mit Georg Lucas das Drehbuch für Star Wars geschrieben hat. Star Wars ist in diesem Sinne die Anwendung jahrelanger Forschung von Mythen und Sagen aus allen Kulturen der Welt.
Natürlich ist Wissenschaftskommunikation nicht mit dem Drehbuchschreiben zu vergleichen. Wir haben keine drei Stunden Zeit, um Charaktere und die komplexen Zusammenhänge der Elemente einer Geschichte zu entwickeln, wie es z.B. in „Herr der Ringe“ der Fall ist. In der Wissenschaftskommunikation – und damit auch im Data-Storytelling – muss es kürze und effiziente Strukturen geben.
SCQA-Struktur
Jede Data Story benötigt also eine durchdachte Struktur. Wenn wir uns aber Geschichten wie Star Wars oder Harry Potter als Vorbilder nehmen, ist schnell klar, dass diese Strukturen für wissenschaftliche Themen und Kontexte gänzlich ungeeignet sind. Es gibt aber Möglichkeiten die Struktur von Geschichten auf das wesentliche zu reduzieren, so dass nutzbare Vorlagen für die Wissenschaftskommunikation und das Data Storytelling entstehen.
Ein allgemein anerkannter Ansatz, um eine Datengeschichte zu strukturieren, ist die SCQA-Struktur („Situation – Complication – Question – Answer“) von Barbara Minto (Minto, 1987). Sie ist so etwas wie der rote Faden einer Geschichte, erleichtert das Verständnis und beugt Missverständnissen beim Publikum vor.
1.Situation: Zuerst wird die Ausgangslage beschrieben, aus der die Geschichte erzählt wird. Das kann eine kurze Zusammenfassung des Kontexts sein, in dem die Daten Story stattfindet, einschließlich Informationen über relevante Faktoren wie die Branche, die Organisation, den Zeitrahmen und die Art der Daten, die analysiert werden sollen.
2. Complication: Hier geht es um die Herausforderung, vor der die Protagonisten stehen und um die Beschreibung des Kernkonflikts bzw. eine um kurze Erklärung des Zwecks der Datenanalyse.
3. Question: Dieser Teil stellt die zentrale Frage, die die Daten Story beantworten soll. Es ist wichtig hier nur eine Frage zu stellen, da nur eine Botschaft kommuniziert werden sollte. Wenn mehrere Fragen oder Botschaften vermittelt werden sollen, dann sollten mehrere SCQAs hintereinander und aufeinander aufbauend erstellt werden.
4. Answer: Dieser Abschnitt präsentiert die Schlussfolgerungen und Ergebnisse der Daten, um die zentrale Frage zu beantworten. Er kann eine Visualisierung der Ergebnisse, einen kurzen Bericht oder eine Zusammenfassung der Schlussfolgerungen enthalten.
Ein Beispiel:
Das folgende Beispiel für einen SCQA habe ich mir von ChatGPT erstellen lassen. Es basiert also nicht unbedingt auf realen Daten und dient nur der Veranschaulichung. Die einzelnen Schritte werden entsprechend von mir kommentiert.
Situation: Im Jahr 2022 verzeichnete Stadt X einen alarmierenden Anstieg der Luftverschmutzung. Die Feinstaubwerte lagen im Durchschnitt bei 45 Mikrogramm pro Kubikmeter, weit über dem von der WHO empfohlenen Grenzwert von 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. Dies sorgte für Besorgnis bei der Stadtverwaltung und der Bevölkerung, da gesundheitliche Risiken wie Atemwegserkrankungen zunahmen. Gleichzeitig begann die Stadt, vermehrt auf alternative Verkehrsmittel wie Elektrobusse und Fahrradinfrastrukturen zu setzen, um den Schadstoffausstoß zu senken.
Kommentar: Die Situation ist nicht sehr blumig, sondern es wird nur ein genaues Beispiel – hier eine Stadt – genannt, und die tatsächliche Situation mit Daten und Fakten beschrieben. Eine emotionalere Ausdrucksweise („sorgte für Besorgnis“) ergänzt die sehr faktische Beschreibung durch menschliche und adaptive Bezüge: Die gelieferten Fakten erzeugen eine Reaktion bei der Stadtverwaltung bzw. den Menschen, die dort arbeiten. So werden Fakten und deren Relevanz für die Menschen erwähnt, ohne dabei blumig, zu emotional oder unsachlich zu werden. Es gibt der Leserschaft aber einen ersten Hinweis, wie die erwähnten Daten zu bewerten sind. In der Complication muss dies dann genauer begründet werden.
Complication: Trotz der Bemühungen, die Luftqualität zu verbessern, zeigte eine Analyse der ersten sechs Monate des Jahres 2023 kaum Fortschritte. Der Durchschnittswert der Feinstaubbelastung lag immer noch bei 42 Mikrogramm pro Kubikmeter – ein Rückgang von lediglich 6,7 %. Dies führte zu der Frage, ob die getroffenen Maßnahmen überhaupt wirksam waren und was die Hauptquellen der Luftverschmutzung waren.
Kommentar: Hier wird wieder sehr sachlich auf Handlungen aus der Vergangenheit hingewiesen – nicht die Diskussion oder Probleme. Es reicht der Hinweis, dass etwas für die Luftqualität getan wurde, aber die Zahlen zeigen, dass die Qualität nicht so gestiegen ist, wie man sich das erhofft hatte. Hier wäre es sicher sinnvoll eine Grafik zu zeigen, in der die tatsächlichen Werte und die erhoffte Senkung der Werte gegenübergestellt werden. Eine solche Visualisierung würde dem Betrachter:innen sehr schnell verdeutlichen, dass das angestrebte Ergebnis nicht erreicht wurde – aber warum?
Question: Warum hat sich die Luftqualität trotz der Einführung von Elektrofahrzeugen und neuen Fahrradwegen nicht wesentlich verbessert? Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die Feinstaubbelastung in der Stadt nachhaltig zu reduzieren?
Kommentar: Es wird empfohlen immer nur eine Frage pro SCQA zu stellen und für eine weitere Frage einen neuen SCQA anzuhängen. Fokussieren wir uns hier also auf die erste Frage.
Answer: Eine detaillierte Untersuchung der Verkehrsdaten ergab, dass der Verkehr in Stadt X im Jahr 2023 zwar um 10 % zurückging, aber der Anteil an privaten PKWs mit Verbrennungsmotoren weiterhin hoch war. 75 % der städtischen Pendler nutzten nach wie vor Autos mit fossilen Brennstoffen. Eine statistische Analyse ergab, dass der Straßenverkehr für über 60 % der Feinstaubemissionen verantwortlich war, wobei der größte Teil der Schadstoffe durch den Abrieb von Reifen und Bremsen sowie die Verbrennung von Kraftstoffen entstand.
Durch den Vergleich der Luftverschmutzungsdaten mit den Wetterbedingungen der letzten zwei Jahre wurde zudem festgestellt, dass in den Wintermonaten, in denen Heizungen vermehrt genutzt wurden, die Feinstaubwerte noch einmal um 15 % anstiegen. 30 % der Haushalte verwendeten immer noch fossile Brennstoffe zum Heizen, was einen erheblichen Anteil an der Gesamtverschmutzung ausmachte.
Kommentar: In der Antwort werden etliche Daten erwähnt, die unbedingt mit Visualisierungen untermauert werden sollten. Dabei sollte darauf geachtet werden die unterschiedlichen Elemente auch visuell zu spiegeln, also wenn es um PKWs geht, tatsächlich auch mit Symbolen für ein Auto zu arbeiten. Wenn die Anteile des Feinstaubs auf die unterschiedlichen Ursachen aufgeteilt wird sollten diese unterschiedlichen Ursachen unterschiedlich visualisiert werden. Das kann durch eine farbliche Unterscheidung oder durch unterschiedliche Symbole bzw. Bilder gemacht werden. In einer dritten Visualisierung sollte der Faktor Wetter hervorgehoben werden. Das ist eine neue Komponente und sollte daher unbedingt auch in einer neuen Folie vorgestellt werden. Tatsächlich ist es hier nicht unbedingt notwendig, eine Grafik zu erstellen, da diese zu komplex werden könnte: Hier wird Luftverschmutzung über die Zeit (Monate über mehrere Jahre hinweg) mit Wetterbedingungen (Temperaturunterschiede) gegenübergestellt. Hier sollte also der Fokus auf die eine Botschaft gesetzt werden, dass der Feinstaub im Winter durch die Nutzung der Heizungen um 15% angestiegen ist. Dafür braucht es kein Diagramm, sondern nur einige Symbole, wie eine Schneeflocke für kalte Temperaturen im Winder und einen Heizköper, und die Zahl 15% mit einem Pfeil. Um wissenschaftliche Klarheit zu garantieren, sollte auch erwähnt werden, z.B. im Untertitel oder neben der Zahl, dass es eine Steigerung gegenüber den wärmeren Monaten ist.
Dieses Beispiel soll zeigen, wie ein SCQA einsetzt werden kann, um Daten in einem Zusammenhang mit einem roten Faden zu bringen. In den folgenden zwei Beispielen wird die Anwendung von Data-Storytelling an zwei visuellen Beispielen erläutert.
Werkstücke
Im Folgenden werden praktische Beispiele und Best-Case-Szenarien für die Arbeit mit Storytelling in grafischen Darstellungen vorgestellt.
Beispiel 1: Grafiken mit klarer Botschaft und Fokus gestalten
Die folgende Grafik ist aus einem Artikel über Data-Storytelling, in welchem die Erfolgsfaktoren für gutes Data-Storytelling evaluiert werden (Neifer et al.,2020). Ein wesentliches Erfolgskriterium ist die Gestaltung der Grafik in Kombination mit einer – und auch wirklich nur einer – Botschaft. Dies wird von Neifer et al. an einem Beispiel verargumentiert, welches auch hier kurz zusammengefasst werden soll.
Betrachten wir uns folgende Grafik. Eine solche Grafik findet man sehr häufig in wissenschaftlichen Texten und Vorträgen:
Quelle Abbildung: Neifer et al. (2020)
In dieser Grafik wird dargestellt, wann wie viele Nutzer:innen einer Streaming-App diese genutzt haben. Die Verteilung wird als Balkendiagramm visualisiert, wobei die Uhrzeiten farblich separiert wurden.
Was ist schlecht an dieser Grafik? Es lassen sich einige Punkte optimieren:
- Die Augenbewegung ist in unserem kulturkreis meist von links nach rechts gerichtet. Es ist also in der Grafik oben nicht sehr „augen-freundlich“, dass man zunächst in den unteren rechten Rand schauen muss, um zu erfahren, was das gelb bedeutet. Es wäre besser dies direkt rechts an den Rand zu schreiben, damit die Bedeutung der Farben schneller und leichter erkannt werden kann.
- In wissenschaftlichen Kontexten ist es manchmal wichtig, Prozentzahlen auf die zweite Komma-Stelle anzugeben. Aber ist das hier wirklich hilfreich und notwendig? Kann man die Zahlen noch erkennen? Welche Zahlen wann wie angegeben werden müssen oder sollten, ist situationsabhängig. Es hängt aber auch davon ab, was man mit der Grafik sagen möchte.
- Es fehlt eine klare Botschaft. Abgesehen von der fehlenden Überschrift, wird hier kein Fokus auf bestimmte Daten gelegt. Wenn wir aber Daten auswerten und interpretieren, möchten wir meist auf bestimmte Zusammenhänge und Korrelationen hinweisen. Die vorliegende Grafik bestätigt oder widerlegt vielleicht vier unterschiedliche Hypothesen. Aber um welche Hypothese geht es in diesem Fall genau? Was soll der oder Die Betrachtende aus der Grafik herauslesen?
Wie könnte es nun besser gehen? Die folgende Grafik enthält die identischen Daten, allerdings wird hier ein klarer Fokus auf die Frage gelegt, wann die Nutzer:innen der App am häufigsten streamen. Die Botschaft: Die App-Nutzung findet hauptsächlich abends, insbesondere am Wochenende statt. Dieses Ergebnis bzw. die Schlussfolgerung ist in dieser Grafik sehr schnell und klar zu erkennen, nicht nur, weil sie als Titel darüber steht.
Quelle Abbildung: Neifer, T., Lawo, D., Bossauer, P. et al. (2020)
Hier wurden klare farbliche Akzente gesetzt. Während die für die Botschaft nicht relevanten Zeitblöcke in einheitlichem Grau gehalten sind, werden die Abendstunden an den Werketagen und am Wochenende in zwei unterschiedlichen Blautönen darstellt. Zur schnelleren Erfassung wurden hier die Zeitblöcke an den rechten Rand des Balkendiagramms gesetzt. Die X-Achse zeigt nicht nur die Wochentage, sondern weist auch noch auf den Unterschied zwischen Werktagen und dem Wochenende hin. Diese Darstellung ist also eine Interpretation der Daten – natürlich könnte man auch andere Schlussfolgerungen darstellen. Dann sollte man die Grafiken aber auch dementsprechend anpassen.
Was kann man aus diesem Beispiel lernen:
- Weniger ist mehr, wenn die richtigen Daten mit der passenden Botschaft präsentiert werden. Wichtig ist also eine passende Botschaft zu formulieren. Was ist für die Argumentation in der entsprechenden Situation wichtig? Welche Botschaft soll die grafische Darstellung der Daten senden?
- Betrachter:innen haben meistens kein tiefgreifendes Verständnis der Daten, die präsentiert werden. Die Visualisierung sollte daher schnell erfassbar (Leserichtung beachten!) und in klaren Kontrasten (Farbgebung) gestaltet werden.
- Eine Grafik pro Botschaft. Will man aus einem Datensatz mehrere Botschaften oder Schlussfolgerungen ableiten, macht es besonders in Präsentationen Sinn, mehrere Grafiken zu erstellen. Eine Botschaft = eine Grafik.
Beispiel 2: Den roten Faden oder die Kernbotschaft in Grafiken visualisieren
Das folgende Beispiel zeigt einen sehr schönen uns hochwertigen Fall von Data-Storytelling, welcher einige grafische oder gestalterische Kompetenzen voraussetzt. Aber im Zeitalter von künstlicher Intelligenz ist auch vieles möglich, ohne selbst ein Grafiker oder Künstlerin zu sein. Daher soll das Beispiel ebenfalls zur Inspiration dienen.
CNBC Make It ist eine YouTube Kanal des CNBC, in dem es primär um wirtschaftliche Themen geht. In dem Video „How Liquid Death’s Founder Started A $700 Million Water Brand | Founder Effect” vom 26.11.2022 wird die Marke „Liquid Death“ vorgestellt. Mike Cessario, der Gründer von Liquid Death, erkannte, dass Wasser eine provokante Marketingstrategie wie bei Energydrinks fehlte, und entwickelte daraufhin eine erfolgreiche Marke. Sein Unternehmen, das inzwischen mit 700 Millionen Dollar bewertet wird, hat 195 Millionen Dollar an Investitionen erhalten und steuert auf einen Umsatz von 130 Millionen Dollar bis Ende 2022 zu.
Kern der Geschichte bzw. des Videos ist, dass allein ein cleveres und kreatives Marketing ausreicht, um Wasser höherpreisig und gewinnbringend zu verkaufen. Die zwei Hauptelemente der Geschichte sind also das Wasser und die Verpackung. Denn allein die Verpackung des Wassers motiviert die Käufer von Liquide Death dieses zu kaufen – und nicht das normale verpackte andere Wasser, welches eventuell sogar günstiger wäre. Genau diese Elemente wurden hier in den folgenden zwei Grafiken visuell aufgegriffen:
Quelle Abbildung: Screen Shot CNBC Make It, 26.11.2022, Minute 8:09.
In dieser historischen Darstellung der Verkaufszahlen wurden die Balken als Säulen aus Wasser dargestellt, was das übergeordnete Thema aufgreift. Natürlich hätten es hier auch blaue Balken getan – aber das Wasser weist erneut auf die erstaunliche Tatsache hin, dass es hier um die Verkäufe von Wasser geht. Das ist kein neues Produkt, welches Konsumenten noch überzeugen müsste. Was Wasser ist, wie es schmeckt und wofür es gut ist, weiß jeder. Durch diesen Hinweis wird hier also noch mal Spannung aufgebaut oder Staunen erzeugt.
Quelle Abbildung: Screen Shot CNBC Make It, 26.11.2022, Minute 8:53.
In dieser Darstellung wird das Wasser in den Balkendiagrammen aus den Dosen des Produktes ausgeschüttet. Das funktioniert natürlich in Filmen besser als in einfachen Präsentationen. Denn noch macht es Sinn in der Gegenüberstellung des Fundings und der Bewertung des Unternehmens das eigentliche Produkt – also das, was den Mehrwert des Unternehmensdarstellt zu zeigen. Das ist tatsächlich die Dose! Die Verpackung des Wassers. Auch hier wird also wieder dargestellt, dass der Erfolg des Unternehmens oder der Marke allein auf der Kombination von Wasser und toller Verpackung besteht.
Die vollständige Geschichte ist unter folgendem YouTube Link anzuschauen: https://youtu.be/iXjhNZlqexs?si=WOFOzdZgKcxeSpOH
Was kann man aus diesem Beispiel lernen:
- Den roten Faden durch Nutzung inhaltlich passender Visualisierungen durchziehen. Es geht um Wasser und eine neue Verpackung – diese zwei Elemente können gut genutzt werden, um den Kern der Geschichte immer wieder zu erwähnen, ohne es tatsächlich auszusprechen.
- Keine Angst vor verspielten Elementen in der Wissenschaftskommunikation! Kreative Visualisierungen einzusetzen, hilft die Kernbotschaft adaptiver zu vermitteln. Menschen memorieren Inhalte besser, wenn diese mit konkreten Bildern verbunden sind.
- Aus Präsentationen und dem Storytelling im Marketing kann sich Wissenschaft Inspiration holen – muss aber nicht jedem Trend hinterherlaufen. Es ist wichtig, dass die Wissenschaftlichkeit nicht aufgegeben wird, d.h. aber nicht, dass man immer alle Daten gleichzeitig präsentieren muss. Wenn man nur eine bestimmte Datenauswahl zeigt, um eine konkrete Botschaft zu vermitteln, heißt es nicht, dass man nicht trotzdem auf die vollständigen Daten hinweisen kann und diese auf Anfrage zur Verfügung stellen kann.
Literatur
Zitierte Quellen
Humor U Official. (27.09.2012). „Harry Potter vs. Star Wars“ – Humor U Stand-Up Comedy. https://youtu.be/wbQEryw2f38?si=Lb7b9NmzOj2Y2R2X
Campbell, J. (2011). Der Heros in tausend Gestalten. Insel Verlag.
Kollenberg, A. (2022) „Wissenschaftskommunikation // Data Storytelling“, https://analytic-thinking.com/news/wissenschaftskommunikation-data
Minto, B. (1987). The Pyramid Principle – logic in writing and thinking. Pitman Publishing.
Neifer, T., Lawo, D., Bossauer, P. et al. (2020) Data Storytelling als kritischer Erfolgsfaktor von Data Science. HMD 57, 1033–1046. https://doi.org/10.1365/s40702-020-00662-3
Nussbaumer Knaflic, C. (2015). Storytelling with Data: A Data Visualization Guide for Business Professionals. Wiley
Schmeil, T. (2022). Data Storytelling: So werden aus Daten Geschichten. https://relevanzmacher.de/content-marketing/data-storytelling/
Weitere Ressourcen
ACART COMMUNICATIONS INC. https://contrastchecker.com/
Hinnen, A. & Hinnen, G. (2022) „Reframe It!“, Murmann Verlag.
Juice Analytics. 20 Best Data Storytelling Examples. https://www.youtube.com/watch?v=DRsZDKmAP-g
Just, N. (2019). Farben für Infografiken https://dienonprofitkiste.de/farben-fuer-infografiken/#Barrierefreie_Farbwahl
Mistry, A. (2017) The Art of Storytelling: Cognition and Action through Stories. International Journal of Art & Sciences, 09(04): 301-324.
Nussbaumer Knaflic, C. (o.J.) https://www.storytellingwithdata.com/
INHALT
- Extraktion
- Data Storytelling: Definition und Erfolgsfaktoren
- Gute Geschichten vs. trockenen Daten
- Daten, Ziele und Kernbotschaften
- Daten als Lösung
- Die Storyline als Struktur
- SCQA-Struktur
- Werkstücke
- Literatur
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1.0.0.
ZITIEREN ALS:
Kollenberg Anna (2024). Data Storytelling. http://doi.org/ – in Erstellung